SOZIALE RECHTE STÄRKEN
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Erste wissenschaftliche Ergebnisse:
Kindergrundsicherung wirkt!

31.000 Kinder in Tirol sind laut aktueller Sonderauswertung der Statistik Austria armutsgefährdet (EU-SILC 2016-2018 3-Jahresdurchschnitt*). Das sind rund 18% aller Kinder und Jugendlichen unter 19 Jahren. „Das kann für diese Kinder bedeuten in überbelegten oder feuchten Wohnungen zu leben, keine Freunde einladen zu können, oder das Taschengeld für die Haushaltsausgaben sparen zu müssen“, erläutert Kerstin Egger, Geschäftsführerin der Volkshilfe Tirol.

Kinder leiden nicht nur unter dem finanziellen Druck, sie leiden auch unter Ausgrenzung und sind öfter krank. Sie spüren die Sorgen der Eltern, dass Leiden der Geschwister und erlauben sich selbst keine kindgerechten Wünsche mehr, wie dieses 10-Jährige Mädchen aus Innsbruck, das sich ein „Weihnachten ohne Sorgen“ wünscht.

Jedes 5. Kind in Österreich: 14,3% der Bevölkerung in Österreich ist armutsgefährdet (Statistik Austria, EU-SILC 2018). Der Anteil der Kinder und Jugendlichen bis 19 Jahre liegt mit 19% allerdings noch höher. Das entspricht rund jedem 5. Kind in Österreich. Zusätzlich ist die Zahl der armutsgefährdeten Kinder seit dem Vorjahr um rund 8.000 Kinder angewachsen. Rechnet man die ausgrenzungsgefährdeten Kinder mit, sind wir bei 372.000 betroffenen Kindern.

 

ERFOLGREICHES MODELLPROJEKT DER VOLKSHILFE

Seit Jänner 2019 unterstützt die Volkshilfe armutsbetroffene Kinder mit der von ihr politisch geforderten Kindergrundsicherung. Nach dem ersten Jahr Laufzeit belegen Auswertungen den Erfolg des Modells.

Das Modellprojekt unterstützt und begleitet zwei Jahre lang 23 armutsbetroffene Kinder in ganz Österreich. Das Projekt ist in Europa einzigartig: Zum ersten Mal gibt es wissenschaftliche Auswertungen über die Auswirkungen der Aufhebung von Armut. Diese zeigen, dass sich die Lebenswelt der Kinder nach einem Jahr in allen Bereichen verbessert hat.

Eine Familie je Bundesland: Ein Jahr nach Start des Modellprojekts im Jänner 2019 haben wir mittlerweile in jedem Bundesland eine Familie aufgenommen. Das jüngste Kind im Projekt ist ein Jahr, das älteste 16 Jahre alt. Die Auswahl der Familien basierte vor allem auf Faktoren, die häufig zu Kinderarmut führen: so haben wir fünf alleinerziehende Mütter und zwei alleinerziehende Väter im Projekt. Im Schnitt erhalten die Familien im Projekt 320 Euro pro Kind – gestaffelt nach Haushaltseinkommen. Diese Mittel sollen die Finanzierung der vier Dimensionen kindlicher Entwicklung sicherstellen: Materielle Versorgung, Bildungschancen, soziale Teilhabe und gesundheitliche Entwicklung.

Der Kinderzukunftsrat: Alle Familien werden von SozialarbeiterInnen begleitet, die zu Beginn eine umfangreiche Ersterhebung durchführen. Die Methoden umfassen u.a. leitfadengestützte Interviews, Elemente aus der Familienaufstellung, sowie eigens entwickelte Selbsteinschätzungsspiele für Kinder. Gemeinsam mit den Kindern wurden dann im sogenannten „Kinderzukunftsrat“ Ziele formuliert.

Ausgrenzung und Ängste der Kinder zu Beginn: Zitate aus den Erstgesprächen illustrieren die Ausgrenzung, den Mangel und die Ängste, die armutsgefährdete Kinder in allen Lebensbereichen er-leben. Ihre Wünsche sind – so sie überhaupt noch welche äußern – oft nicht altersgerecht und sie fühlen sich mitverantwortlich für die Sorgen ihrer Eltern.

„Dass wieder mal boa Lüt zu meinem Geburtstag kommen, weil sit drei oder vier Johr isch koana mehr zu mien Geburtstag ko, also in da Volksschul sin halt immer no welche ko, aber jetzt über-haupt koana mehr.“ Bub, 12 Jahre, Vorarlberg

Positive Entwicklungen bereits nach kurzer Zeit: „Schon nach drei bis vier Monaten konnten wir bei vielen Kindern erleben, dass sie sich in den Gesprächen völlig anders verhielten als am Anfang. Kinder die zu Beginn kaum kommunizierten, hielten plötzlich Augenkontakt, sprachen öfter und schneller oder formulierten plötzlich selbstständig Wünsche. Man spürte schnell eine Art von Selbstermächtigung“, erzählt Judith Ranftler, Leiterin des Projektes Kinderarmut Abschaffen bei der Volkshilfe und auch eine der begleitenden Sozialarbeiterinnen im Projekt. Das belegen auch diese Zitate der Kinder -

„Wir sind jetzt alle viel ruhiger.“ Mädchen, 9 Jahre, Tirol

„Gestern haben wir sogar Hotdogs gemacht. Das, was wir sonst normalerweise
nur an besonderen Tagen essen, aber gestern haben wir es einfach mal so
gemacht.“ Bub, 10 Jahre, Steiermark

Begleitende wissenschaftliche Studie: Die externe sozialwissenschaftliche Begleitung wird von DDr. Nikolaus Dimmel von der Universität Salzburg durchgeführt. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die sozialpolitischen Hand-lungsfelder in einem Sozial- und Wohlfahrtsstaat ebenso wie Armuts- und Familiensoziologie. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team wird untersucht, wie sich die finanzielle Unterstützung auf die Lebenswelt und die Gefühlslage der Kinder auswirkt. Zudem werden Informationen über die Begrenzung kindlicher sozialer Räume aufgrund sozioökonomischer Benachteiligung erhoben. Anhand der Daten wird auch die politische Forderung der Volkshilfe nach einer staatlichen Kindergrundsicherung für alle Kinder in Österreich evaluiert. Die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Forschung werden der Öffentlichkeit in mehreren Publikationen ab 2020 zugänglich gemacht.

Nähere Infos:

*Anmerkung: Die Schwankungsbreite liegt zwischen 1/3 und 2/3 des Schätzwerts.